Dschingis Khan

Die Mongolen unter Dschingis Khan

von Simon Hollendung und Björn Böhling

2.1.2 Religion und Glaube

Religion und Glaube hatten einen starken Einfluss auf das Denken und Handeln der Mongolen. Der Khan (und natürlich auch der Großkhan) wurde als Stellvertreter des Himmels auf Erden verstanden. „Als göttliches Wesen vollstreckt der König die himmlischen Befehle.“[16] Daraus schöpfte der Herrscher Kraft, bewahrte sich aber auch die Furcht, den Zorn der Götter herauszufordern, die das Schicksal der Menschen bestimmten. Rituale und Opfergaben sollten die Götter milde stimmen und deren Unterstützung für Kriegszüge sichern. Doch nicht nur zum Himmel wurde mit Ehrfurcht aufgeblickt. Wie andere Naturvölker auch, waren die Mongolen der Meinung, ebenfalls alltägliche Objekte, Pflanzen oder Wasserquellen seien von den Göttern beseelt (Animismus). Deswegen war es z.B. verboten, sich in Quellen oder Wasserläufen zu waschen, um die Wassergeister nicht zu stören oder zu verletzen. Wegen dieser Allgegenwärtigkeit des Himmels schien es den Mongolen ratsam, sich mit den irdischen Vertretern, gleich welcher Religion auch immer sie zugehörten (buddhistische Mönche, Schamane, nestorianische Priester, taoistische Magier, tibetische Lamas, Franziskanermissionare, islamische Mullahs), gut zu stellen.[17]

So kam es zu der bedeutsamen Stellung der Schamanen in der mongolischen Gesellschaft, „die an Ansehen und Einfluß dem Stammesfürsten nicht“ nachstanden,[18] denn zwischen „Göttern und Geistern und den Mongolen vermittelten die Schamanen.“[19] Der Stand war erblich, oder jemand, der sich dafür berufen fühlte, nahm ihn individuell an.[20] Sie waren die Ansprechpartner zu allen Zeiten und in allen Lebenslagen. Sie wanderten von Stamm zu Stamm und konnten durch ihren Rat und durch Weissagungen die Tagespolitik beträchtlich beeinflussen, denn ihre Anordnungen wurden als göttliche Entscheidungen akzeptiert. Vor allem Dschingis Khan konnte von den Weissagungen des Schamanen Kökötschü profitieren, der verkündete, Gott habe den jungen Temudschin (später Dschingis Khan) zum Khan über die Mongolen erkoren[21] – wer sollte ihm den Titel da noch streitig machen?

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[16] Neumann-Hoditz, S. 109.

[17] Deswegen war die später in den eroberten Gebieten verkündete Glaubensfreiheit nicht nur ein politischer Schachzug, um die Massen zu beruhigen. Der Ursprung der Glaubenfreiheit lag in der Verschiedenartigkeit der mongolischen Stämme. Die eigentlichen Mongolen huldigten uneingeschränkt dem Schamanismus, während sich z.B. die Naiman oder Karäiten zum Christentum der Nestorianer bekannten. Die direkten Nachbarn boten die Chance, die eigene Religion als eine unter vielen anzusehen. Es gab also Alternativen. Natürlich ist es trotzdem, besonders im Vergleich zu heute, wo noch immer religiöse Kontroversen Anlässe zu heiligen Kriegen oder Kreuzzügen bieten, als außerordentlich zu bewerten, dass die Mongolen wirkliche Glaubensfreiheit auch praktizierten.

[18] Ratchnevsky, Paul: ?inggis-Khan, Sein Leben und Wirken, Wiesbaden 1983, S. 87.

[19] Neumann-Hoditz, S. 115.

[20] Vgl. Brent, Peter: Das Weltreich der Mongolen, Dschingis Khans Triumph und Vermächtnis, Bergisch Gladbach 1977, S. 30.

[21] „Gott habe mit ihm [Kökötschü] gesprochen und ihm gesagt: ‚Die ganze Oberfläche der Erde habe ich Temü?in und seinen Söhnen gegeben’“. (Zitiert nach Ratchnevsky 1983, S. 38)
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